Technisches Design in Zeiten von 5G

Michael Alba |

Das Branchen-Urgestein Fram Akiki über die Vorzüge und Herausforderungen von 5G im Bereich Design.

(Bild mit freundlicher Genehmigung von Siemens)

5G, das Mobilfunknetz der fünften Generation, ist vielversprechend. Es wird nach Ansicht von Fram Akiki, einem 35-jährigen Urgestein der Elektronik- und Halbleiterindustrie, eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung vieler neuer Technologien spielen. Intelligente Städte, intelligente Fabriken, autonome Fahrzeuge und viele andere technologische Leitziele werden allesamt von 5G abhängen.

Aber so wunderbar diese Technologie sein mag, 5G bringt eine ganze Reihe von Design-Herausforderungen mit sich. „5G ist ein äußerst komplexes Protokoll“, behauptet Akiki.

Engineering.com sprach mit Akiki, um mehr über 5G, seine Vorteile und die Designherausforderungen, die es mit sich bringt, zu erfahren. Und das hatte er zu sagen:

Engineering.com: Was genau ist nun eigentlich so toll an 5G?

Fram Akiki, Präsident von Joun Technologies und Siemens-Consultant (Bild mit freundlicher Genehmigung von Fram Akiki)

Fram Akiki: Im Zusammenhang mit der digitalen Transformation ist 5G eine der Technologien, die meiner Meinung nach einen unversichtbaren Beitrag in dieser Hinsicht leisten werden. Die Unternehmen von heute sehen sich mit einer explosionsartigen Zunahme an Komplexität konfrontiert. Die Fortschritte in Computer-, Grafik- und Konnektivitätstechnologien bieten Unternehmen die Möglichkeit, diese Komplexität in konkrete Wettbewerbsvorteile umzusetzen. Und natürlich steht 5G an vorderster Front und im absoluten Mittelpunkt, was das Thema der Konnektivität anbelangt.

Warum ist 5G also so wichtig in Bezug auf den Konnektivitätsaspekt? Ich werde mich bei der Beantwortung dieser Frage auf 3 Schlüsselbereiche konzentrieren:

Eine davon ist der Datendurchsatz. Die kontinuierliche Verbesserung des Datendurchsatzes ist etwas, was wir im Zuge der Übergänge von 2G zu 3G und von 3G zu 4G gewohnt sind. Aber beim derzeitigen Übergang zu 5G erreichen wir Gigabit-Geschwindigkeiten. Dort, wo 4G aufgehört hat, fängt 5G erst an, nämlich bei etwa einem Gigabit pro Sekunde. Und die 5G-Technologie hat das Potential, es bis auf 10 Gigabit pro Sekunde zu bringen. Die Bedeutung dieses Datendurchsatzes ist, dass Anwendungen, die vormalig hauptsächlich per Kabelanschluss stattfinden mussten, nun auch drahtlos genutzt werden können.

Der zweite Schlüsselbereich ist die Latenz. Die Latenz ist die Reaktionszeit des Netzwerks. Die Latenzspezifikation für 5G geht bis in den Millisekundenbereich herunter, was eine Verbesserung um eine Größenordnung gegenüber 4G darstellt. Eine niedrige Latenz in Verbindung mit der Zuverlässigkeit von Mobilfunknetzen ermöglicht nun eine effektivere Kontrolle in Echtzeit.

Akiki verwies auf dieses Video von Ericsson und Paris Saint-Germain, um die Auswirkungen der geringeren Latenzzeit von 5G zu veranschaulichen:

Der dritte Schlüssel ist die Anschlussdichte. Auch hier sehen wir einen Anstieg um eine echte Größenordnung. Die technischen Eigenheiten von 5G erfordern die Fähigkeit, bis zu einer Million Benutzer pro Quadratkilometer unterstützen zu können. Man wird also nicht nur viele verbundene Geräte haben, sondern man wird auch zunehmend unterschiedliche Gerätetypen angeschlossen sehen, nicht nur Smartphones.

Ich betrachte den Datendurchsatzaspekt als eine eher inkrementelle Art der Verbesserung, aber die Latenzzeit und die Verbindungsdichte sind eindeutig neue Elemente, die mit der 5G-Technologie einhergehen.

Welche Branchen werden von 5G profitieren?

Wir sprachen darüber, dass der Übergang von Kabel- zu drahtlosen Systemen erleichtert werden wird, und ich sehe im Zusammenhang mit dieser Umstellung zwei besonders relevante Anwendungsfälle:

Der erste befindet sich in der Fabrikhalle, in der industriellen Umgebung. Dank 5G kann man dieses ganze Konzept von Industrie 4.0, der vierten industriellen Revolution, nun erst wirklich in der Praxis umsetzen. In der Vergangenheit mussten beispielsweise viele der Geräte, die sich in der Fabrikhalle befanden, über Ethernet-Kabel verbunden werden. Mit 5G haben die Fabriken eine viel größere Flexibilität, da sie private sowie öffentliche 5G-Netze zu Vernetzungs- und Betriebszwecken in der Fabrikhalle einsetzen können.

Ein weiterer Bereich, in dem sich große Chancen bieten, ist der Zugang zu den eigenen vier Wänden der Menschen – manchmal auch als letzte Meile bezeichnet. Trotz aller Verbesserungen, die im Laufe der Jahre mit Technologien wie der Glasfasertechnologie erzielt wurden, erfolgt der Zugang zum Haus immer noch hauptsächlich über ein Kupferkabel oder sogar über ein verdrilltes Kabelpaar. 5G wird das revolutionieren, denn mit dieser Technologie kann man ohne Kabel oder Leitungen unter Erzielung sehr hoher Geschwindigkeiten in die Wohnung gelangen.

(Bild mit freundlicher Genehmigung von Siemens)

Was die Latenz betrifft, so hätten wir da den gesamten Bereich der Smart Cities sowie die Möglichkeit, Kontroll- und Überwachungsfunktionen in Echtzeit durchführen zu können. Eine wichtige Anwendung ist das autonome Fahren. Die C-V2X-Kommunikation (Cellular Vehicle-to-Everything) beispielsweise ist eine Schlüsseltechnologie im Hinblick auf die Kommunikation von autonomen Fahrzeugen mit anderen Autos, Verkehrsampeln und Sensoren, die bspw. den Straßenzustand erfassen. Diese Kommunikation benötigt oft keinen hohen Durchsatz. Die Datenmengen mögen nicht groß sein, aber dennoch müssen sie sehr schnell übertragen werden – zum Beispiel zwecks Unfallvermeidung.

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Die hohe Verbindungsdichte von 5G wird es ermöglichen, dass alles – von Smartphones, Tablets, Uhren und medizinischen Geräten bis hin zu Ihren Schuhen – mit dem Internet verbunden werden kann. Es gibt einige Protokolländerungen in 5G, die es ermöglichen werden, eine kleinere Batterie im jeweils verbundenen Gerät zu haben – und eine kleinere Batterie führt natürlich sowohl zu kleineren Geräten als auch zu einer längeren Lebensdauer dieser Geräte. Die Fähigkeit, Mobilfunkverbindungen auf immer mehr Geräte anzuwenden, wird durch 5G stark zunehmen.

 

 

Wie sieht die Zeitachse von 5G aus?

 

Wenn man sich die Entwicklung der zellularen Standards bis zurück zu 1G im Jahr 1979 ansieht, sind einige Trends erkennbar. Erstens wird in der Regel alle 7-10 Jahre ein neuer Standard eingeführt. Der zweite Trend besteht darin, dass es im Allgemeinen zwei bis drei Jahre dauert, bis ein neuer Standard auf breiter Basis eingeführt wird. Und schließlich bleibt ein Standard, sobald er einmal eingeführt ist, in der Regel etwa 20 Jahre lang weit verbreitet. Infolgedessen kommt es zu jedem Zeitpunkt zu großen Überschneidungen bei der Einführung von Standards, und das sieht man heute im Zusammenhang mit 2G, 3G und 4G.

 

Ich denke, ein breiter Einsatz ist wahrscheinlich noch zwei bis drei Jahre entfernt, und vieles davon wird von den Anwendungen abhängen. 5G wird weltweit vorangetrieben und ist bereits in großen Ballungsgebieten der USA, Europas und Asiens im Einsatz. Denken Sie daran, dass sich mit 5G eine Menge neuer Anwendungsmöglichkeiten eröffnen. Betrachten Sie 5G nicht einfach als eine Smartphone-Konsumententechnologie – wenn Sie das tun, verstehen Sie das Prinzip nicht. Die Anwendung auf die Fabrikhalle zum Beispiel wird ganz anders aussehen als der Einsatz auf Endverbrauchermärkten. Es ist schwierig, sich auf einen Zeitrahmen für einen großflächigen industriellen Einsatz festzulegen. Ein solcher Einsatz wird jedoch in vielen Branchen bereits aktiv diskutiert.

Worin bestehen die technischen Herausforderungen von 5G?

Erstens, für die Einführung von 5G braucht es ein ganzes Ökosystem. Ein Ökosystem besteht für mich aus vier Hauptbestandteilen: Infrastruktur, Chipsätze, Geräte-Erstausrüster und Betreiber. Übrigens denke ich, dass man in Zukunft wesentlich mehr Geräte-Erstausrüster sehen wird, da immer mehr Arten von Geräten über Mobilfunk miteinander verbunden werden.

Im Bezug auf die Infrastruktur liegt eine der großen technischen Herausforderungen bei den Anwendungsfällen für 5G. Wenn Sie eine Infrastruktur entwerfen, müssen Sie ein Modell für den Netzwerkverkehr entwickeln lassen. Im Laufe der Jahre sind einige gut definierte Modelle entwickelt worden, die hauptsächlich auf dem Smartphone-Datenverkehr über Mobilfunknetze basieren.

Da sich die Welt in der Zwischenzeit jedoch weitergedreht und begonnen hat, über all die anderen theoretischen Anwendungen – autonome Fahrzeuge, IoT usw. – nachzudenken, treiben die damit verbundenen Anwendungsfälle den Bedarf an neuen Modellen voran. Diese neuen Modelle müssen sich nun mit viel mehr Variabilität auseinandersetzen, je nachdem, ob eine Basisstation in einem Mobilfunkmast oder in einer Fabrikhalle eingesetzt wird. Dies hat Auswirkungen auf die Architektur und das Design von Infrastruktursystemen.

Infolgedessen befassen sich die Infrastrukturanbieter mittlerweile zunehmend mit dem sogenannten MBSE (Model Based System Engineering, zu dt: Modellbasierte Systemtechnik). Die Konzepte rund um MBSE werden seit Jahren in der Luftfahrt, im Flugzeugbau und in der Automobilindustrie eingesetzt. Jetzt finden diese Konzepte Eingang in das Design von 5G-Infrastrukturen, weil man überall die gleiche Fähigkeit zur Systemmodellierung haben muss, also nicht nur auf den höchsten Ebenen, sondern bis hinunter zur SoC-Architektur (System-on-Chip). Diese Modellierungsanforderungen gelten nicht nur für Hardware-, sondern auch für diverse Software-Architekturen.

(Bild mit freundlicher Genehmigung von Siemens)

Bei Chipsätzen gehören Systemintegration und Protokollkonformität zu den großen Herausforderungen von 5G. Wir nähern uns einem Punkt, an dem man allein durch Skalierung der Halbleitertechnologien nicht mehr alle erforderlichen Systemintegrationsfähigkeiten realisieren kann. Aus diesem Grund wird im öffentlichen Diskurs nicht nur von SoC (System-on-Chip) gesprochen, sondern auch vom sogenannten System-in-Package-Konzept (SiP). Hierbei werden mehrere Chips in ein einziges Chipgehäuse integriert, was diese Gehäuse um einiges komplexer macht – so komplex, dass Konstrukteure EDA-Software-Tools auf der Gehäuseebene einsetzen müssen, die normalerweise für die Chip-Ebene vorgesehen sind.

Das 5G-Protokoll in Verbindung mit den verschiedenen Anwendungsfällen, die wir besprochen haben, macht die Aufgabe, die jeweiligen Anforderungen an Chips zu definieren und ihre Verifizierung und Validierung sicherzustellen, sehr viel komplizierter. Dies gilt nicht nur im Vorfeld, sondern auch im weiteren Verlauf des Chip-Lebenszyklus, wenn neue Anwendungsfälle vorgeschlagen werden und die Designer eine zuverlässige Methode benötigen, um zu prüfen, ob ihre Chiptechnologie in diesen neuen Anwendungsfällen funktionieren kann.

Geräte-Erstausrüster mussten sich zunehmend mit komplexer Elektronik in einem anspruchsvollen mechanischen Umfeld auseinandersetzen. Smartphones sind ein gutes Beispiel dafür. Von den Technologieführern unter den Smartphones wird erwartet, sieben Millimeter oder dünner zu sein und gleichzeitig immer mehr Fähigkeiten zu bieten. Es geht nicht nur um 5G – wir erwarten von unseren Smartphones, immer bessere Kameras und eine verbesserte Batterielebensdauer zu bieten, um nur einige Kriterien zu nennen. Eine große Herausforderung bei der Unterbringung von immer mehr und leistungsfähigeren Funktionen auf kleinerem Raum ist die Wärmeverlustleistung.

Eine weitere zentrale Herausforderung ist das, was ich „Fehlerwahrscheinlichkeit“ nenne. Historisch gesehen haben Sie zwei verschiedene Konstrukteurgruppen, die bisher relativ unabhängig voneinander gearbeitet haben: die Elektronik- und die Mechanik-Teams. Jetzt müssen diese beiden Gruppen enger zusammenarbeiten, und wenn Sie nicht über die richtigen Systeme und Werkzeuge für eine Zusammenarbeit verfügen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Fehler auftreten, viel größer.

Screenshot der ECAD-Software Mentor Xpedition. (Bild mit freundlicher Genehmigung von Siemens)

Für Betreiber wird der Einsatz von 5G nicht einfach nur einen simplen Austausch von Basisstationen zur Konsequenz haben. Beispielsweise wird der Einsatz von kleinen Zellen, die auf den Bereich der Millimeterwellen ausgelegt sind, eine wesentlich größere Herausforderung in diesem Zusammenhang darstellen. Es muss viel mehr darüber nachgedacht werden, wie diese kleinen Zellen platziert werden müssen, um die Abdeckung zu optimieren und Störungen durch Baustrukturen und Gebäude zu minimieren.

Abschließend lässt sich sagen, dass die Elektronik- und Halbleiterindustrie auf eine lange Geschichte der Bewältigung technischer Herausforderungen zurückblicken kann und in der Lage ist, unglaubliche Innovationen hervorzubringen und enorme Potentiale freizusetzen. Es hat jedoch immer schon Gewinner und Verlierer gegeben. In diesem Zeitalter der digitalen Transformation werden die Verlierer noch schneller von der Bildfläche verschwinden.

Die Xcelerator-Plattform von Siemens, die durch die Übernahme von Mentor und nachfolgende Übernahmen, wie denen von Sarakol, Solido und UltraSOC, gestärkt wurde, ist laut Akiki hervorragend aufgestellt, um die technischen Design-Herausforderungen im Zusammenhang mit 5G umfassend anzugehen, von der Netzwerk- und Top-Level-Systemebene bis hinunter zur untersten Chip-Ebene.