Autodesk’s Massimiliano Moruzzi: Mad Max oder Visionär?

Roopinder Tara |

Aufgepasst! Massimiliano Moruzzi, Senior Principal Scientist bei Autodesk und F&E-Mitarbeiter im Büro des CTO, beginnt seine Keynote Speech auf dem Leadership Forum der Autodesk University London.

Massimiliano Moruzzi hat eine lange Akte, wenn es um die Revolutionierung des Ingenieurwesens geht. Er war Teil von Lockheeds legendärem Skunkworks, in dem eine Stealth-Drohne rein aus Verbundwerkstoffen gefertigt wurde. Er leitete die Initiative, mehrere Teile des Rumpfes der Boeing 787 aus Kohlefaserverbundwerkstoffen herzustellen. “Boeing suchte einen Mann, der verrückt genug war, ein Flugzeug aus Plastik herzustellen”, erklärt Moruzzi bescheiden. Er erzählt weiter von einem NASA-Projekt zum Bau kryogener Raketentanks mit Hilfe von Verbundwerkstoffen. Außerdem war in italienischen Autofirmen tätig – unter anderem bei Lamborghini. Und die Liste geht noch weiter. Kurz gesagt, er lebt den Traum eines jeden Ingenieurs.

Max, wie er genannt werden will, ist ein Vollblut-Ingenieur – und ein ziemlicher Freidenker.

Er begann seine Karriere im Bereich Verbundwerkstoffe als Mathematiklehrer, nachdem er an der Polytechnischen Universität Mailand im Fach Raumfahrttechnik promoviert hatte. Irgendwie gelang es Autodesk, Max als Senior Principal Scientist und Mitarbeiter im CTO-Büro des Unternehmens zu gewinnen und ihn in dieser Funktion an seiner Anwendungsidee aus dem Bereich Generatives Design arbeiten zu lassen. Wir fragen uns, wie es funktioniert, ihn auf ein Thema zu beschränken. Materialien kombinieren, sie auf unvorhergesehene Art und Weise ihre Eigenschaften ausspielen lassen, den vorgegebenen Konzepten der Fertigung trotzen – das ist nur ein Anfang für jemanden Max. Warum bei inerten Inhaltsstoffen aufhören? Warum dem Ganzen nicht ein wenig Leben einhauchen? Warum nicht Materialien herstellen, die reaktiv, intelligent und lebendig sind?

Unbelebten Objekten Leben verleihen…. wo haben wir das schon mal gehört? Ah, genau…. Frankenstein! Wir sind in den umgebauten Tobacco Docks von London, wo Max seine Keynote Speech an der Autodesk University hält. Etwa hundert Meilen entfernt in der Küstenstadt Bournemouth liegen die Überreste von Mary Shelley, der Autorin der klassischen Horrorgeschichte. Vor genau 200 Jahren schrieb sie über die Erschaffung von Leben aus einer Mischung verschiedener Stoffe mittels Funkenschlag.

Max verzauberte das Publikum auf dem Leadership Forum mit einer intellektuellen Achterbahnfahrt von Verbundwerkstoffen über 3D-Druck und Biologie bis hin zum Prinzip des Lebens selbst. Keynote Speeches gehören für uns zum Alltag. Wir haben bereits viele gesehen. Aber keine wie diese. Nicht von einem, der alles in Frage stellen kann, von Brücken über Flugzeuge bis hin zu Materialien – und den Institutionen, die an sie glauben. Dank ihm fällt es einem wie Schuppen von den Augen, und man fragt sich, wie man so naiv sein konnte.

Die Erschaffung von Leben mag für Ingenieure eine ungewohnte Übung sein, aber wenn man in Max’ Bann steht, dann erscheint alles sehr glaubwürdig. Seine wissenschaftliche und ingenieurstechnische Fachkenntnis im Verein mit dem leuchtenden Beispiel seiner Leistungen und Verdienste lässt auf eine spannende Geschichte hoffen, die langjährige Überzeugungen in Frage stellt. Wir betrachten Max, der sich von einem technischen Abenteuer zum nächsten hangelt, und seine bahnbrechenden Errungenschaften, die von der wissenschaftlichen Theorie bis hin zu konkreten Produkten reichen, als eine Gewehrkugel, die querschlagend durch den Raum schießt.

Wir haben alles falsch gemacht.

“Was ist der schlimmste Feind einer Brücke?”, fragt er. Die Hände gehen nach oben. Natürlich wissen wir die Antwort – wir sind schließlich Ingenieure und bauen diese Brücken. Aber wir haben nicht die richtige Antwort für Max. Er fährt fort, kommt jedoch später auf das Thema zurück, um uns die richtige Antwort zu präsentieren: Der wahre Feind der Brücke ist die Brücke selbst. Brückenmaterialien sind so schwer, dass die meisten Materialien der Brücke zur Unterstützung der Konstruktion selbst verwendet werden. Stahl und Beton sind die Hauptschuldigen.

“Es ist nicht eure Schuld”, tröstet Max uns als nur menschliche, fehlbare Ingenieure. Aber wir wissen insgeheim, dass wir nur uns selbst die Schuld geben können. Unsere Materialien sind plump, homogen und isotrop. Welches natürliche Strukturmaterial ist so beschaffen? Weder Holz noch unser Fleisch noch unsere Knochen. “Das seid nicht ihr.”

Schwarz ist das neue Grün

Beton, unser jahrhundertealter Versuch, Strukturmaterial herzustellen, ist – obwohl Aggregat – noch immer nur ein erbärmlicher Versuch, ein komplexes Material herzustellen – eine Aufgabe, die die Natur selbst nur zu gut beherrscht. Seit Jahrtausenden verwenden wir Beton für große Lasten wie Brücken und Straßen. Erst kürzlich haben wir begonnen Stahlseile (Betonstahl) zu nutzen, um das materialbedingte Versagen von Beton bei Zugbelastungen auszugleichen.
Das ist ein guter Anfang, sagt Max. Kohlefaser wäre jedoch besser.

Während das Verhältnis von Festigkeit zu Gewicht bei Carbonfaser-Verbundteilen vorteilhaft und bekannt ist, sind es die Umweltvorteile des Materials, die Carbonfaser so einzigartig machen.

“Kohlenstoff ist zwar schwarz, aber grüner als Stahl und Beton.”

Wir können unsere Bevölkerung nicht aufrechterhalten, wenn wir mit den gleichen Materialien bauen, die wir bisher verwendet haben. Beton und Stahl verbrauchen eine enorme Menge an Energie in Förderung und Produktion. “Kohlenstoff ist zwar schwarz, aber grüner als Stahl und Beton”, erklärt uns Max. Außerdem ist er wartungsärmer und relativ reichlich vorhanden.

Außerhalb des Radars

Die unter strengster Geheimhaltung entwickelte RQ-170 Sentinel Jet-Drohne von Lockheed’s Skunkworks, auch bekannt als das Biest von Kandahar, flog gesteuert von der CIA in 50.000 Fuß Höhe und schickte Live-Bilder der US-Razzia, die Osama Bin Laden tötete. Die RQ-170 ist komplett aus Kohlefaser. Die jeweilige Faser ist genau dort platziert, wo sie benötigt wird. Dadurch wird die Anzahl der Teile in der Baugruppe und das Gewicht des Flugzeugs reduziert, um das Biest in der Luft zu halten. (Bild mit freundlicher Genehmigung von Wikipedia.)

Wir sehen hier eine von Max’ ersten Kreationen. Aus Lockheed’s Skunkworks kam das komplett aus Komposit gefertigte, riesige, schwarze, bumerangförmige UAV, das für den Radar so gut wie unsichtbar ist. Es könnte die RQ-170 Sentinel UAV sein, alias die Bestie von Kandahar, benannt nach Missionen in Afghanistan. Wir werden es vielleicht nie erfahren. Wir werden aufgefordert, genau hinzusehen. “Es hat keine „Reebs“ [das in italienischen Akzent gesprochene englische Wort „ribs“, für „Rippen“]”, sagt Max. Tatsächlich ist der größte Teil der Flugzeugstruktur aus einem Stück gefertigt. Ein typischer Flugzeugflügel besteht aus einer Anordnung von Rippen, Platten, Streben und anderen Strukturteilen sowie unzähligen Nietenelementen, die alles zusammenhalten. Für Max’ unvoreingenommenes Auge ist das nichts anderes als ein schlampiges Durcheinander von Teilen mit meist einfallslosen prismatischen Formen, die es nur aufgrund der bestehenden Fertigungsprozesse gibt, im Rahmen derer optimal konzipierte Materialien eine nur untergeordnete Rolle spielen. Die Tatsache, dass ein Flugzeug Millionen von Teilen hat, bedeutet für Max lediglich eine übermäßige Anzahl an Schnittstellen, die regelrecht darum betteln, zu versagen.

Wir verlieren uns im Einsatz uns bekannter Materialien und Verfahren. Mit dem Kohlefaserflugzeug aus einem Guss – sozusagen ein fliegender Flügel – bringen wir von Anfang an das richtige Material an die richtige Stelle. Lange Kohlefaserstränge werden zusammen mit dem Matrixmaterial von einem Roboterarm mit intakten Freiheitsgraden platziert, die es erlauben über und unter der Tragfläche zu arbeiten, wodurch nach und nach die komplette Flugzeugstruktur entsteht.

Dieser Ansatz erscheint durchaus intuitiv: Die Fasern können entlang der direkten Linie verlegt werden, die den jeweils höchsten Belastungen ausgesetzt ist [MG1] .

Wir hören das Wort „Optimierung“. “Wie kann man isotropes Material wie Stahl optimieren? Per Definition ist das nicht möglich.”

Wir schränken uns ein, sagt Max, und stürzen uns auf die Techniken, die wir für Antworten auf unsere Probleme halten. Er zitiert da Vinci (“Was soll ich sagen? Ich bin Italiener.”), mit der Weisheit, dass ein Problem, wenn es schlecht definiert ist, keine adäquate Lösung finden wird. Was machen wir, wenn wir ein Teil benötigen? Wir machen unsere Skizzen unter Verwendung normaler Bauformen. Wir wählen Materialien, mit denen wir vertraut sind. Wir streben nach Symmetrie und geraden Linien (“wie der Raum, in dem wir uns befinden”), weil wir uns damit wohl fühlen.

Additive Fertigung in Druckkammern – Unnatürlich!

Additive Manufacturing (AM), von dem viele Technologists glauben, dass es so gut wie alles herstellen kann, ist nicht die Lösung. AM teilt die Welt in Scheiben auf und versucht sie in Schichten zu rekonstruieren, die es einzeln in einer Druckkammer aufträgt. Das ist ein unnatürlicher Prozess. “Unser Körper entsteht auch nicht in einer Druckkammer oder in Schichten”, sagt er. “Ich will meine Teile frei schwebend erschaffen, ohne Stützstrukturen.”

Individuelle Massenanpassung

Wir haben uns an die Massenproduktion gewöhnt. “Aber ich will, dass jeder sein eigenes Haus entwirft, sein eigenes Auto.” Das ist nicht möglich, sobald man erst einmal Stanzteile und Formen verwendet. Alle Autofirmen fordern flexible Fabriken. Aber sie benutzen Formen, und es liegt in der Natur von Formen, dass sie stets dasselbe herstellen. “In der konventionellen Fertigung ist es nicht möglich sein eigenes Auto zu designen, weil dafür eine ganze Fabrik verändert werden müsste.”

Aber mit einem digitalen Teil ist alles möglich. Digitale Teile können mit schnellen Computern und Algorithmen angepasst werden. Autodesk hat das generative Design zu einer seiner Hauptinitiativen gemacht, bei der ein bestimmtes Problem oder eine bestimmte Beschränkung verschiedene Formen erzeugt, die realisierbar sind. Im Gegensatz zu einem Ingenieur, der auf eine definierte Lösung setzt und das jeweilige Teil mit geraden, einfachen Formen und Symmetrien herstellt.

Die Rettung: Roboter

Max erzählt uns von seinem Besuch am Pier 9, dem technischen Zentrum von Autodesk, wo er einen Roboter beobachtete. “Es war kein glücklicher Roboter. Er hat lediglich Kisten von A nach B bewegt. Was ist das für ein Leben? Nachdem wir ihn dazu gebracht haben, kreativere Dinge zu tun, war er definitiv glücklicher”, sagt er augenzwinkernd.

Aber ein glücklicher Roboter allein ist nicht genug. “Das Teil, das er herstellt, kann noch dazu lebendig sein”, sagt Max. “Wäre das nicht ideal? Das Teil und der Roboter könnten miteinander reden. Das Teil kann seinem Schöpfer sagen, was es erlebt.“

“Also, ich hatte einen Roboterarm, einen FANUC. Ich habe einen Materialextruder hinzugefügt und ihn gehackt. Als Ingenieur wollen Sie die Dinge nie so belassen, wie sie sind. Sie wollen, dass sie besser funktionieren. Sie müssen die Dinge anpassen. Wir sind niemals glücklich mit der originalen Standardausführung.”

Außerdem kann der Roboter die Materialien dorthin bringen, wo sie gebraucht werden, sie während dem Prozess kombinieren und sogar Elektronik einbetten.

Ausbruch aus dem Gefängnis des Periodensystems

Es gibt keinen Grund, warum Batterien wie Batterien aussehen müssen. Batterien sind sehr einfach. Sie bestehen aus Leitern und Nicht-Leitern. Sie müssen nicht aus Lithium sein. Anstatt sie als zusätzliches Eigengewicht zu behandeln, warum sollte man sie nicht formen – oder zu strukturellen Formen wachsen lassen?

Max weigert sich, sich auf das Periodensystem mit seinen öden 130+ Elementen zu beschränken. “Die Art von Dingen, die wir mit Materialien machen können, indem wir Bits bis in den Nanobereich kombinieren, erlaubt es uns, unsere eigenen Materialien herzustellen. Kunststoff ist leitfähig, oder? Falsch. Schauen Sie, was wir mit Kunststoff machen können.”

Er präsentiert ein Tragflächenteil aus Kohlefaser, das keine sichtbare Verkabelung oder elektrische Leitungen oder Batterien aufweist. Er drückt einen Schalter an einer Schnur, und die Lichter am Flügel leuchten auf. Wie ein Magier lässt er uns über die Funktionsweise seines Tricks im Unklaren.

Ganz offensichtlich hat er Leiterbahnen in die Kohlefaser eingebettet. Weniger offensichtlich ist die Batterie. Wie…. wo ist sie?

Eine Batterie kann jede beliebige Form haben – ein Auto…. sogar ein Gebäude kann eine Batterie sein.

Intelligente Produkte, neue Netzwerke

Die Integration von leitenden Elementen in einer Anwendung können dazu führen, dass sich ein Teil so verhält, als hätte es Nerven. Es kann fühlen und auf Berührungen reagieren. Was könnte menschlicher sein? Ein Stuhl oder ein Tisch haben etwas zu sagen – wenn man nur zuhören will. Ein Stuhl kann Feedback über den ausgeübten Druck abgeben, entsprechende Einstellungen für den Komfort vornehmen, eventuell die Temperatur anpassen. Ein Stuhlhersteller kann vom Verkäufer eines unbelebten Produkts zum Verkäufer eines Komforterlebnisses werden.

Auch Computer müssen nicht wie Computer aussehen. Ihre Kleidung sollte in der Lage sein, wie eine Vollzeit-Monitoringsystem Ihrer Körperfunktionen, ja sogar Ihres Geisteszustandes, zu funktionieren und sie sogar zu steuern.

Ein smartes Auto ist kein besseres GPS. Es ist so viel mehr möglich. Der Händler des Autos kann jetzt zum Hersteller des Autos werden.

Max hinterfragt den Einsatz von CubeSats zum Aufbau eines globalen Kommunikationsnetzwerkes. Das sind diese würfelförmigen Satelliten, von denen bereits 800 in die Umlaufbahn gebracht wurden. Warum verlegen wir die Netzwerke nach da oben, will er wissen. Warum über uns? Warum können wir – oder unsere Autos oder Gebäude – nicht das Netzwerk sein?

Nun, zum einen bedecken wir und die Objekte, die wir herstellen, nicht die gesamte Fläche der Erde und erreichen abgelegene Orte…

Aber Max sucht weniger nach Antworten, als er provozierende Fragen stellt. Eine Stunde später, und er ist immer noch am Philosophieren.

Was hat er gerade gesagt? Er hat nicht gerade über Bewusstseinskontrolle geredet, oder? Das muss der Jetlag sein. Oder ist der rollende Zug des technischen Abenteurertums und der behutsamen Provokation gerade kurz entgleist? Nochmal darüber nachgedacht macht es jedoch irgendwie Sinn. Unsere Sinne basieren alle auf chemischen Reaktionen. Wenn wir die Chemikalien beeinflussen können, warum können wir dann nicht beeinflussen, was wir sehen und fühlen?

Wenn man darüber nachdenkt, ist es keine neue Theorie. Man denke an Timothy Leary und seine wilden Erfahrungen mit LSD, einer synthetischen Chemikalie.

Zurück im Bann von Massimiliano Moruzzi gehen die Abenteuer weiter. Was, das wir sonst noch so für bizarr und seltsam gehalten hätten, ist in Wahrheit machbar, wünschenswert – und finanzierbar?

Wir wollen, dass diese Keynote Speech niemals endet. Kann jemand Max seine eigene Show geben?