Autodesk’s CAD-User bekommen CAE und CAM gleich mitgeliefert – kostenlos

Roopinder Tara |

Autodesk scheint die Möglichkeiten seines CAD-Programms „Inventor“ nicht geschrumpft, sondern erweitert zu haben. Die neueste „Collection“ ergänzt die Fähigkeiten um Simulation mit Nastran In-CAD, Mehrachsenbearbeitung (HSM) und Fabrikdesign. (Bild mit freundlicher Genehmigung von Autodesk.)

Stephen Hooper, Senior Director im Bereich Produktionsstra-tegie und Marketing bei Autodesk. (Bild mit freundlicher Genehmigung von Autodesk.)

Kürzlich hatten wir Stephen Hooper, Autodesks Senior Director im Bereich Produktionsstrategie und Marketing, am Telefon. Er verkündete, dass Autodesk Simulation und CAM in seine CAD-Software Inventor einbauen wird – und zwar nicht irgendeine Simulationssoftware, sondern NASTRAN, die sie zuvor für $3.500 zu verkaufen versuchten. Und Autodesk wird keinen Cent mehr verlangen als den Preis, den es bislang für Inventor alleine verlangt hat. HSMworks wird ebenfalls enthalten sein.

Auf Basis einer recht oberflächlichen Online-Demo ist es schwer zu sagen, wie das alles genau ineinandergreifen wird, aber das Potential all dieser Funktionen in dem Software-Paket ist enorm. Die CAD, CAM und CAE-Systeme, die alle auf einem einzigen Interface im Rahmen der Inventor-Software arbeiten, werten nicht nur das Mainstream MCAD-Modellierungsprogramm Inventor wieder zum Star im Autodesk-Portfolio auf, sondern heben es auch deutlich von der Konkurrenz ab. Der Designer oder Konstrukteur kann damit Simulationen durchführen und zusätzlich Modelle an die CNC-Maschine senden. Sie müssen keine separate CAM-Anwendung erwerben, keine vollkommen neue Schnittstelle erlernen oder auf die Performance von Maschinisten vertrauen.

Während unseres Telefonats letzte Woche bat uns Stephen noch nicht zu viel diesbezüglich verlauten zu lassen. Autodesk plant eine überraschende Ankündigung. Und für viele wird es in der Tat eine echte Überraschung sein. Nicht wenige Inventor-Anwender beklagen seit einigen Jahren den Mangel an neuen Funktionen beim Inventor. Autodesk selbst hat eine Einstellung der Inventor-Produktlinie erwogen, mit der Idee, dass die alternde Desktop-Anwendung komplett der cloudbasierten Software „Fusion“ weichen könnte. Die Inventor-Nutzer fühlten sich daher von Autodesk zusehends im Stich gelassen, während der Fokus des Unternehmens sich immer mehr in Richtung des modernen, cloudbasierten, mobile-freundlichen Fusion-Produkts verschob.

Die jüngste Ankündigung jedoch ändert alles.

Pricing und andere Details

„Pricing spielt hier eine eher untergeordnete Rolle“, sagte Stephen, aber die Wichtigkeit des Pricing-Aspekts ist ihm durchaus bewusst.

Immer noch skeptisch angesichts dieser Marketing-Einlage, die wie ein selbstloses Geschenk anmutet, bei dem sämtliche Zusatzprodukte im gleichen Inventor-Abonnement enthalten sind, fühlte ich Stephen weiter auf den Zahn:

„Stephen, ich kann nicht glauben, dass du Inventor zum selben Preis wie vorher verkaufst, aber jetzt auch noch NASTRAN und HSM hinzufügst. Wirklich? Keine zusätzlichen Kosten?“

„So ist es!“, bekräftigte Stephen.

Auch eine Namensänderung der „Collections“, früher „Product Suites“ genannt, wurde angekündigt: Was früher als „Product Design Collection“ bezeichnet wurde, wird nun als „Product Design and Manufacturing Collection“ bezeichnet, um den neuen Komponenten des Paketes gerecht zu werden. Nicht einmal dann reicht der Name jedoch an die Funktionsvielfalt des Pakets heran, denn mit enthalten sind Autodesk-Produkte für Architektur, Visualisierung, Elektrik, und viele mehr.

Die vielleicht einzigen mechanik- bzw. fertigungsbezogenen Produkte, die nicht in der Collection enthalten sind, sind Delcam-Produkte. Anscheinend ist die Integration der Delcam-Produktfamilie – und wahrscheinlich auch der Delcam-Unternehmen selbst – etwas aufwändiger als die kleinere und überschaubarere HSM-Akquisition.

Eine Menge Produkte sind in dieser Box enthalten:  Die “Collection” mit der Inventor-Software hat nun auch mehrere Softwareprodukte für Design (Fusion360, AutoCAD, AutoCAD Mechanical), Produktion (HSM), Visualisierung (3dsMax), Elektrokonstruktion, Fabrikplanung, Photogrammetrie und 3D-Scanning (ReCap) – ja sogar Architektur. Es stellt sich wohl eher die Frage, was es nicht beinhaltet. (Bild mit freundlicher Genehmigung von Autodesk.)

Die Collection wird Nastran In-CAD enthalten, die Version von Nastran, die im Rahmen der Inventor-Anwendung einsetzbar ist. Autodesk kaufte NEI Nastran im Jahr 2014.

Benutzer, die Nastran In-CAD und HSM selbst hinzukaufen würden, müssten 7.000 $ zusätzlich zahlen. Jetzt hingegen erhalten die, die die Inventor-Collecion für $2.460 pro Jahr abonnieren, Nastran und HSM kostenlos dazu.

Ich war von dieser Tatsache bereits hin und weg, aber dann begann das Gespräch sich anzufühlen wie eine Home Shopping Session, bei dem man zusätzlich zum Kauf noch einen weiteren Satz hochwertiger Ginsu Messer geschenkt bekommt:

„Außerdem vergeben wir drei Lizenzen für Fusion 360“, sagte Stephen. Während ich dachte, dass er in heißem Wettbewerb mit den Jungs von Fusion stehen würde, zeigte Stephen plötzlich abteilungsübergreifende Zusammenarbeit.

Und das schien noch nicht alles zu sein. Die gesamte Collection (für $2.460 pro Jahr) beinhaltet AutoCAD, Navisworks, Vault, ReCap Pro, 3dsMax, Factory Design Utilities… Stephen leierte die Produkte schneller herunter, als ich Notizen machen konnte – keine Zeit, darüber nachzudenken, was die Collection nicht beinhaltet.

Was bedeutet das?

Mit der Erweiterung der Inventor-Fähigkeiten um CAE- und CAM-Funktionen hat Autodesk seinen MCAD-Desktop-Produkten neues Leben eingehaucht. Sie können damit nicht länger als alternde Produkte angesehen werden, die allein aus schierem Willen heraus oder aus Furcht vor der drohenden Revolte der vergessenen User am Leben erhalten werden. Die Firma stellt sich damit vollumfänglich hinter ein Produkt und ein Konzept, von dem viele dachten, sie hätte das Interesse an ihm verloren.

Während Inventor-User zweifellos erfreut sind (Wer will nicht mehr Leistung zum gleichen Preis erhalten?), werden Branchenkenner leicht verwirrt sein. Wenn Autodesk jetzt erfolgreich zweigleisig fahren wird, mit einer desktop- und einer cloudbasierten Lösung, was wird dann aus der vielzitierten Legende des unaufhaltsamen Technologiewandels und des durch die ungebremste Begeisterung der Anbieter für den durch die Cloud und mobile Produkte vorangetriebenen Innovationsprozess, der alles Althergebrachte unerbittlich verdrängt. Wir waren alle davon überzeugt, dass dieser Prozess unvermeidlich sei. Es gab uns eine aufregende technische Zukunftsperspektive und bot uns ein spannendes Fortschrittsdilemma (neu vs. alt, Zukunftstechnologie vs. Dinosauriertechnologie etc.).

Die Erweiterung von CAD-Produkten um Simulationssoftware ist seit Jahren gang und gäbe – allen Konstrukteuren und Designern Software für maschinelle Bearbeitung in einer integrierten Design-Anwenderbasis zur Verfügung zu stellen, ist ein neuer und mehr als interessanter Gedanke. Autodesk verschenkt also in der Tat seine maschinelle Bearbeitungssoftware an alle Kunden seiner Design-Software. CAM-Software nur zur Verfügung zu haben, macht jedoch noch keinen Mechanik-Spezialisten. CAM-Software, selbst innerhalb eines CAD-Interfaces, erfordert zusätzliche Kenntnisse und Fähigkeiten. Das gehört nicht zum Standard, der Ingenieuren normalerweise beigebracht wird. Dennoch ist der Zugang zu CAM ein großer Schritt in Richtung des Ziels, dem sich Autodesk verschrieben hat: Ingenieuren auch die Kontrolle über die Herstellung der Komponenten zu geben – anstatt ausschließlich über ihr Design.

Diese Entwicklung stellt für alle anderen CAD-Anbieter natürlich einen Wettbewerbsnachteil dar, insbesondere – aber sicherlich nicht ausschließlich – für SOLIDWORKS. De facto erheben alle CAD-Anbieter nach wie vor zusätzliche Kosten für CAM- und CAE-Add-ons. Was bleibt ihnen auch anderes übrig? Denn schließlich haben sie es mit Drittanbietern zu tun, die ebenfalls Geld verdienen müssen. Nur Autodesk kann es sich wirklich leisten, seine eigene CAM- und CAE-Software in bestehende Abonnements zu integrieren.